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+++ Demnächst in München auf Tour: Dekker, Maximo Park, Baroness, Trentemoeller, Arvo Pärt, Faithless, Fontaines D.C., Teha Teardo & Blixa Bargeld, Gong, FEH, Solstafir, Colour Haze, Nada Surf, Opeth, Wishbone Ash, Johnossi, The Nightflight Orchestra, Queensryche, Green Lung, Snow Patrol, Mytch Ryder, Saxon, Franz Ferdinand, Lenny Kravitz, Michael Kiwanuka, Steven Wilson, Ghost. +++

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Leseproben

 

Ultrachronos

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Preludio/Postludio

 

6:30

Der Morgen überzieht die Hausmauern mit Pink-, Orange- und Kupfertönen, breitet blinde Spiegel auf dem Wasser aus. Unbewegtes Wasser, das am Horizont bläut, in der Bucht noch schwarz ist. Die erloschenen alten Straßenlaternen gleichen Urnen, zur Warnung auf eiserne Masten gespießt.

Ich sitze im Fensterkreuz meines Hotelzimmers und rauche, tippe Asche zwei Stockwerke hinunter, habe seit Stunden den Wein dieser Insel aus einem Zahnputzglas getrunken und fühle mich zu nichts verpflichtet, als sei das Wichtigste erledigt.

 

1.

 

Irgendwo muß man anfangen. Es ist leicht. Irgendwann, mit irgendwas. Man kann den Anfang später streichen, wenn sich die Geschichte erklärt hat.

Irgendwo, mitten im Leben. Meinem.

Manche sortieren ihre Vergangenheit nach Städten, in denen sie lebten, nach Projekten, die sie betrieben, oder nach Stufen eines inneren Reifeprozesses. Wenn ich an irgendeine zurückliegende Zeit denke, ist sie stets mit dem Namen der Frau verbunden, mit der ich zusammen war, zusammensein durfte. Einige haben mich geliebt, einige habe ich geliebt.

Das Ausmaß der Schnittmenge entscheidet über sovieles.

Erste Symptome? Vieles kommt dafür in Frage. Es gab eine zeitliche Grauzone nicht eindeutiger Phänomene. Das Meiste von dem, was in Frage kommt, habe ich vergessen, oder kann es nicht mehr nachvollziehen; es ging zu unscheinbar vor sich. Beweisbar ist nichts. Meinem Gefühl nach läßt sich der große Umbruch kaum auf einen Zeitpunkt festlegen, er kam schleichend. Lange noch konnten die Symptome mit Vernunftkonstrukten erklärt und aufgefangen werden.

 

2.

 

Für mein Londoner Debut standen Strauss' Metamorphosen und Bruckners Neunte auf dem Programm. Entrückungsmusik, mit mehr als einem Bein im Jenseits. Ich hatte mich vehement gegen eine Pause zwischen den beiden Stücken ausgesprochen, erfolglos.

Die Pause sei angeblich schon deshalb nötig, um jenen, deren Aufnahmefähigkeit für beide Programmpunkte nicht ausreiche, eine Möglichkeit zu geben, den Konzertsaal ohne Störung zu betreten bzw. zu verlassen. Meine Forderung, die Türen während des Konzerts geschlossen zu halten, wurde als anachronistisch empfunden, gelangte durch eine Indiskretion in die Tagespresse - und einige Kritiker bereiteteten sich darauf vor, mich energisch abzustrafen, schilderten in den Vorabberichten meine Taktführung als romantisch verbrämt, elegisch bis schwülstig, dann wieder nordisch-arisch-karajanisch (was immer das sein soll), Attribute, die mir allesamt fern liegen. In gewissen majuskelverliebten Schmierblättern wurde sogar vor dem gefährlichen Sauerkraut-Mystagogen gewarnt, der Strauss und Bruckner den Briten in einer Art neogroßdeutscher, in den Grenzen von '42 angesiedelten Interpretation nahebringen wollte. Erstaunlicher Vorwurf bei einem zart-tristen Werk wie ausgerechnet den Metamorphosen, geschrieben im Herbst '45 quasi auf dem Schuttberg der deutschen Kultur.  All dieser Wahnsinn, nur weil ich dringend, doch höflich, darum gebeten hatte, auf eine Pause zu verzichten, Pausen zerstören meine Konzentrationsfähigkeit - und beide Werke zusammen erreichen gerade einmal Spielfilmlänge, also bitte.

Das Londoner Orchester empfing mich kühl, wie einen Parvenü, der sich mit chauvinistischen Provokationen nach oben fuchteln wollte. Über den Proben lag ein irrationales, unausgesprochenes Mißtrauen. Als ich die Entfernung eines Posaunisten forderte, der meinem Gehör nach nur über eine Lotterie seinen Platz im Bläsertrakt erschwindelt haben konnte, glitt die Diskussion mit dem Konzertmeister in gewerkschaftliche Dimensionen ab, mir wurde vorgeworfen, den Halbgott im Frack zu geben, die Zeiten eines Toscanini seien passé. (Ich dirigiere so gut wie nie im Frack, das nebenbei.) Der wohl nie mehr zu tilgende Minderwertigkeitskomplex mancher, ich sage mancher Briten, über zuwenige Komponisten von Wert zu verfügen, schlug sich bis in die zweiten Geigen nieder. Möglicherweise habe ich mich hier und da ungeschickt benommen. Wie dem auch sei, die Proben verliefen nicht nur in klanglicher Hinsicht unharmonisch. Ich setzte mir, schlimm eigensinnig, eine hübsche Klarinettistin in den Kopf, es kam zum großen Krach. Eine aktualisierte, unbanale Deutung von Strauss' und Bruckners Werken erschien nicht länger realisierbar, und ich erschien nicht mehr zur fünften Probe, trieb mich stattdessen in einem Sohoer Pornokino herum. Was gleich darauf die Presse durch mich selbst erfuhr. Wenn schon Skandal, dann richtig. Ich posierte für die Kameras mit einer fast zahnlosen Stripperin im Arm. Gab ein Interview, in dem es hieß, daß die zahnlose Stripperin blasfertiger sei als etwaige Posaunisten gewisser ortsansässiger Orchester. Man kündigte prompt meinen Vertrag, die Medien schenkten mir enorme Aufmerksamkeit, mein Publikum würde fortan vermutlich jugendlicher sein, ich war frei. Nahm an, daß der Skandal meiner Reputation nicht schaden würde, im Gegenteil. Derlei Konflikte besitzen ihre eigene Dynamik, jedenfalls war alles besser, als das geplante Konzert Wirklichkeit werden zu lassen. London lag mir auf gewisse Art zu Füßen, auch wenn sich dadurch die Bißspuren in meinen Waden vervielfachten. Na gut. In einer Neidgesellschaft gilt bloßes Können bereits als Arroganz.  Vom Mittelmaß exzentrisch genannt zu werden, ist natürlich. Ich würde mich selbst eher experimentierfreudig nennen.

 

Obwohl mir viel daran liegt oder lag, (man muß inzwischen zum Imperfekt greifen), Musik, die ich liebe, der Welt so zu präsentieren, wie niemand sie ihr zuvor präsentiert hat, lag mir fast genausoviel daran, beachtet, gefeiert und von schönen Frauen sexuell umsorgt zu sein. Die Gleichzeitigkeit künstlerischer Seriosität wie hemmungsloser Triebkraft stellt in den Augen manch sonderbarer Zeitgenossen noch immer einen Widerspruch dar, mir unbegreiflich. Einige Kommentare kanzelten mich als geil-arroganten "Prussian Herrenmensch" ab, (ich komme aus München) andere, wohlwollendere, erinnerten an Klaus Kinskis Eskapaden, damit war die Sache bereits so gut wie gerettet, meine Zukunft schien gesichert. Die erwähnte Klarinettistin habe ich schließlich auch noch bekommen, es kostete 20.000 Pfund, nie war ein tiefgefrorerener Fisch überbezahlter, weißgott. Egal. Ich dachte darüber nach, ob ich vielleicht doch in Talkshows gehen sollte, legte mir ein künftiges Programm zurecht, das besser zu meinem neuen Image passen würde, eruptiver, erotischer. Strawinskys Sacre zum Beispiel.

Bruckners Neunte und Strauss' Metamorphosen standen meinem Herzen viel näher, konnten indes noch auf mich warten. Solche im Ruch des Vergeistigten stehende Werke nimmt das Publikum älteren Interpreten viel kritikloser ab. Ich hatte einen tollen Beruf. Unabhängig davon, wie ich mich geistig fühlte, war meine irdische Hülle für die eines Dirigenten geradezu frischlingshaft jung. Mit Vierzig wird man in diesem Betrieb kaum ernstgenommen, und egal auf welche Weise man Bruckners Neunte dirigiert - sollte es vom Gehörgängigen  nur minimal abweichen, wird man als jugendlicher Revoluzzer gehandelt. Jetzt wollte ich nichts weiter, als drei Wochen Ruhe und Rauschmittel genießen, wollte wehmütig dabei an Claudia denken, die mir verlorengegangen war - und machte mich in Annabelles Apartment breit, das direkt im Herzen South Kensingtons liegt. Annabelle - lesbischer Sopran, unsere Freundschaft basierte auf gegenseitigem beruflichem Respekt - sang noch den Rest des Monats in New York. Ich mochte ihre verwinkelte Wohnung. Ein süßes kleines, weiß und rot und mit viel Art Deco (aber auch mit Lavalampen) eingerichtetes Apartment, erster Stock Altbau, zwei Gehminuten vom Park entfernt. Ich fütterte Grauhörnchen, die einem dort an den Hosenbeinen hinaufklettern, gönnte mir alle drei Tage eine Luxusnutte vom Escort-Service, ließ indisches oder vietnamesisches Essen kommen, studierte ein wenig Partitur. Kokain nahm ich in diesen Wochen keines. Kokain alleine zu nehmen, bringt nicht viel mehr als eine starke Tasse Kaffee. Meiner Laune nach wäre die Reihe der noch auszuprobrierenden Genußgifte am Opium gewesen, aber ich kannte niemanden in London, der mir welches besorgen konnte. Also trank ich exzellenten Rotwein und las Rilkes Duineser Elegien, was einen passablen Ersatz darstellt. Die meiste Zeit war ich nüchtern, um das nur klarzustellen. Gesundheitlich ging es mir gut, von leichten Problemen mit dem Rücken abgesehen, ich bin von robuster Natur; mit meiner Frau Laura telefonierte ich jede Woche, fast ohne zu streiten, entdeckte sogar eine gewisse Sehnsucht wieder, mit ihr von unserem Kanapee am Las Canteras aus das kanarische Meer zu betrachten, vorausgesetzt, daß Laura still bliebe. Von Einems Dantons Tod, eine der besten, dramatischsten und unterschätzesten Opern des zwanzigsten Jahrhunderts, hätte meine nächste Verpflichtung werden sollen, zur Saisoneröffnung in Stuttgart, aber dazu kam es nicht mehr.

Ich hatte ausnahmsweise viel Zeit, über meine Wünsche, meine Karriere, mein Älterwerden und das Älterwerden der Welt überhaupt, nachzudenken. Vielleicht genügte allein schon dieser Umstand, um die folgenden Geschehnisse ins Rollen zu bringen. Es würde im Umkehrschluß bedeuten, daß der übliche Arbeitstrott als betäubender Mechanismus womöglich ausgereicht hätte, um Dinge, die weit weg von mir ihren Lauf nahmen, gar nicht erst geschehen zu lassen. Das klingt irrational, aber ich will es nicht völlig von der Hand weisen. Ich bin nicht mehr in der Position, um irgendetwas von der Hand zu weisen.

zuletzt aktualisiert im November 2024